In der Kritik an dem Konzept des Gesamtbewusstseins berief sich Fingerphilosoph kürzlich auf das Dao, welches ich hier noch einmal aufführen mag:
Das Dao, das sich aussprechen lässt,
ist nicht das ewige Dao.
Der Name, der sich nennen lässt,
ist nicht der ewige Name.
„Nichtsein“ nenne ich den Anfang von Himmel und Erde.
„Sein“ nenne ich die Mutter der Einzelwesen.
Darum führt die Richtung auf das Nichtsein
zum Schauen des wunderbaren Wesens
die Richtung auf das Sein
zum Schauen der räumlichen Begrenztheiten.
Beides ist eins dem Ursprung nach
und nur verschieden durch den Namen.
In seiner Einheit heißt es das Geheimnis.
Des Geheimnisses noch tieferes Geheimnis
ist das Tor, durch das alle Wunder hervortreten.
Nun gibt es für das Dao, wie für obigen Text allgemein, mehrere Übersetzungen, die deutlich machen, dass östliche Kultur sich nicht 1:1 auf westliches Verständnis übertragen lässt, so dass die, obendrein zeitversetzte, Übersetzung des Textes, wie des Dao selbst, immer nur ein Kompromiss ist, der Mehrdeutigkeit möglichst eindeutig zu vermitteln versucht. Gesamtbewusstsein ist auch so ein Begriff, wie das Dao. Ein Begriff, den auch ich gerne nutze, um meine Idee vom Zusammenwirken aller Lebewesen (die Summe aller Einzelbewusstseine) zu beschreiben. Dabei nutze ich den Begriff einfach als Idee und nicht als Aufdruck auf einer Schublade, in die man gesteckt wird, nur weil man einen solchen Begriff nutzt. Da ich diesen Begriff anders verstehe, als er von Fingerphilosoph in seinem Beitrag beschrieben wird, anbei nun der Versuch diesem Begriff etwas beizukommen und zu verdeutlichen, warum das Leben ohne Gesamtbewusstsein nicht lebensfähig ist. Auch das, so sei angemerkt, ist eine Idee, die viele andere Ideen in sich trägt.
Gesamtbewusstsein lässt sich, aus meiner Sicht, mit dem Text des Dao vereinen:
Ließe man das Leben machen,
findet das Leben alles Mögliche,
was zum Leben notwendig ist, vor.
Ließe man hingegen uns Menschen machen,
wo fände das Leben alles Notwendige vor,
damit das Leben möglich bleibt ?
Die Antwort liegt in der HARMONIE,
welche das Tor ist, das durch die LIEBE zum Leben (hin) geöffnet wird.
Sicher, auch in diesem Text, der meine Idee ist, liegt keine Eindeutigkeit vor. Nicht nur, weil die meisten Menschen HARMONIE und LIEBE nicht von Harmonie und Liebe unterscheiden würden, sondern auch, weil jeder unter Harmonie und Liebe durchaus etwas Anderes versteht als Andere, denn je nachdem, wo jeder Mensch seine Betonungen setzt, erscheint mancher Punkt dem Einen wichtiger, während andere Punkte, die mit einem Begriff in Verbindung gebracht werden, als unwichtig erachtet werden. Daher tritt jeder Begriff immer verschieden in Erscheinung, auch wenn es durchaus weniger Mehrdeutigkeiten geben mag und man sich der Eindeutigkeit annähern kann. Ruft jemand STOP, dann ist das schon ziemlich eindeutig. Allerdings, wie hier unlängst erörtert wurde, stellt sich erst im Nachhinein heraus, ob etwas falsch oder richtig war, ohne dass es ein ewig allgemeingültiges Richtig bzw. Falsch geben kann. Die Welt, wie man so sagt, ist im Wandel.
Um zu verdeutlichen, worauf der Umgang mit Begriffen, wie Gesamtbewusstsein, im Wandel der Welt hindeutet, anbei ein ganz anderes Beispiel.
Die genetische Ähnlichkeit von Schwein und Mensch soll verblüffend sein, zumindest aus Sicht von uns EINEN. 98,5% seines Erbguts teilt der Mensch mit den Schimpansen und zur Hälfte ist der Mensch, aus Sicht der Gene, eine Banane. Hinzukommt, dass alle Menschen zu 99,5% das gleiche Genom besitzen, was jedoch nicht der Grund ist, warum ich gerne die Spezies Mensch als die EINEN bezeichne und warum manch EINER Andere als Affe beschimpft. Was die Frage aufwirft, was genau die ANDEREN dann sind, wenn sie uns EINEN, aus Sicht der Gene, so ähnlich sein können ? Was zu den weiteren Fragen führt, warum kein Mensch EINEM anderen gleicht und warum man uns EINEN problemlos von Schweinen, Schimpansen und Bananen unterscheiden kann ? Und was hat das mit dem Gesamtbewusstsein zu tun ?
Gene lassen sich mit einem Klavier vergleichen. Entscheidend dafür, wie eine Verkörperung erscheint bzw. ein Lied erklingt, ist die Art und Weise, wie das Genom (die Summer aller Gene) bzw. das Lied (die Summe aller Noten) zum Ausdruck gebracht wird.
Ein Klavierstück, dessen Noten bekannt sind, kann beliebig wiederholt und als besagtes Lied erkannt werden, wenn die Noten immer gleich gespielt werden, d. h. ohne die Lautstärke und/oder die Dauer einer Note zu verändern. Behält der Klavierspieler die Notenfolge bei, ändert aber die Anschlagstärke (Lautstärke), sowie die Dauer, jeder einzelnen Note, dann erklingt die bekannte Notenfolge gänzlich anders, gar derart fremd, das niemand das Lied zu erkennen vermag. Das liegt an der Stille zwischen den Noten, die sich zwangsläufig, mit jeder Veränderung jeder einzelnen Note, anders äußert und die Dynamik des ganzen Liedes ergibt.
Nun, für Gene gilt selbiges, wobei Gene noch ein paar weitere Besonderheiten vorzuweisen haben, die mit einem Klavier nicht realisierbar sind. Nicht zu verwechseln mit den Möglichkeiten der Gentechnik, die das Klavier in einen Synthesizer verwandelt. Zumal das Klavier hier für die primäre Notwendigkeit des Klavierspielers steht, sich, durch seine Möglichkeiten des Spielens, auszudrücken, während der Synthesizer eher die Möglichkeiten des Synthesizers zum Ausdruck bringt und die Notwendigkeit anders geartet ist, nämlich einzig nach Art der Spezies Mensch.
Die Ähnlichkeit der Gene, aber die grundlegende Verschiedenheit des verkörperten Erscheinungsbildes, ergibt sich aus der Betonung der einzelnen Gene, wobei die einzelnen Gene die einzelnen Tasten des Klaviers sind. Zum Beispiel hat der Mensch 23.000 Gene, sprich, Klaviertasten, und ein Wasserfloh derer 31.000, der Gemüsekohl gar 100.000. Wer hätte das gedacht ?!
Je nachdem wie die Umwelt, sprich, der Klavierspieler, die einzelnen Gene betont bzw. ganz verstummen lässt, erscheinen sehr ähnliche Genome grundverschieden anders verkörpert. Sehr anschaulich erzählt der hier verlinkte Text wie die Umwelt, zu der alle ANDEREN und wir EINEN gehören, die Philharmonie des Lebens in Form bringt (informiert) und als Sinfonie der Lebendigkeit des Lebens dessen Dynamik (Informationsfluss) ausbildet.
… the hopper and the locust were radically different animals — different species, doubtless, possibly different genera. So I was quite amazed when Rogers told us that grasshopper and locust are in fact the same species, even the same animal, and that, as Jekyll is Hyde, one can morph into the other at alarmingly short notice. …
Quelle: Die, selfish gene, die – http://www.aeon.co
Besagter verlinkter Text macht auch deutlich, was es mit Ideen, die zu Theorien und Konzepten werden, auf sich hat, sowie mit all den Begriffen, mit denen sie, im Kontext sich wandelnder Umweltbedingungen bzw. sich wandelnden Klimas, kommuniziert werden.
Perhaps better then to speak not of genes but the genome — all your genes together. And not the genome as a unitary actor, but the genome in conversation with itself, with other genomes, and with the outside environment. If grasshoppers becoming locusts, sweet bees becoming killers, and genetic assimilation are to be believed it’s those conversations that define the organism and drive the evolution of new traits and species. It’s not a selfish gene or a solitary genome. It’s a social Genome.
Quelle: Die, selfish gene, die – http://www.aeon.co
Womit wir wieder beim Gesamtbewusstsein wären, denn so, wie sich Umwelteinflüsse ändern, ändern sich auch die Umstände, die zu anderen Ideen führen bzw. vergessene Ideen reaktivieren und, damit einhergehend, die Möglichkeiten etwas zu kommunizieren, was notwendig ist.
Gibt es nun ein solches Gesamtbewusstsein ? Oder sollte stattdessen die Frage eher lauten, was man mit einem solchen Begriff alles zum Ausdruck bringen kann, indem man die Ideen, die dem Begriff zu eigen sind, unterschiedlich betont ? Oder anders gefragt: Macht es nicht mehr Sinn über die Mehrdeutigkeit möglichst nahe an eine Eindeutigkeit zu gelangen, anstatt von vornherein auf Eindeutig zu pochen und mit dieser den weiteren Weg der Kommunikation zu begehen ? So Pfade ignorierend, die die Spielweise des Klavierstücks zu bereichern vermögen, und sei es nur durch Stille. Das Leben – eine Jam-Session des Gesamtbewusstseins ? Auf dem Weg des Lebens ? Ist nicht das Dao der eindeutige Weg, der aber auf mehrdeutigen Pfaden begangen wird ?
Die Problematik, die sich zwangsläufig einstellt, wenn verschiedene Menschen versuchen den gleichen Begriff mit ihrem Klavier nachzuspielen, während jeder dieser Menschen selbst ein Lied ist, beschreibt Fingerphilosoph berechtigt mit der Gefahr von Herrschaft über Andere, dahingehend, dass die, die den Ton angeben, nach welchem sich die Anderen fortan zu richten haben, das Leben nach ihren Vorstellungen gestalten können. Diese Unterdrückung Anderer führt zu deren Schweigen, zum Verstummen deren Stimme. Oder aber sie ertönen als jemand, den EINE andere Stimme durchdringt, weshalb sie nicht mehr mit eigener Stimme erklingen können. Je mehr derart zum Schweigen gebrachte Stimmen nicht mehr erklingen und verfremdete Stimmen ertönen, wie bei besagtem Synthesizer, desto mehr steht das Zusammenspiel der Philharmonie auf dem Spiel, schließlich liegen zwischen ertönen und erklingen Welten voller Möglichkeiten. Gleichwohl auch zwischen Schweigen und Stille. Daher meine Frage zu Beginn, wo das Leben alles Notwendige zum Leben vorfände, ließe man uns Menschen machen – als sei das Leben ein Synthesizer, wovon wir EINEN mehr und mehr überzeugt zu sein scheinen. Die Antwort, die ich eingangs gab, spiegelt sich auch im hier verlinkten Text wider. HARMONIE umfasst alle Generationen von Leben, durch alle Zeiten hindurch, Harmonie dagegen, mehr im Sinne von uns EINEN, konzentriert sich eher auf EINE Generation. Auf eine Generation, die jeweils aktuelle, obendrein
Wenn Gene nicht einfach von sich aus, nebst reichlich Einsatz von Zufall, das Erscheinungsbild von Lebewesen bzw. das gesamte Erscheinungsbild des Lebens bedingen, was hat es dann mit diesem Klavierspieler auf sich, der mittels des Lebens HARMONIE zum Ausdruck bringt und nicht müde wird, aus LIEBE zum Leben, immer weiter zu spielen ? Sitzt Gott am Klavier ? Ist Er der teleologische Denker ? Und kann im Voraus erdacht werden, was wir die Evolution des Lebens nennen ? Ist Er das Gesamtbewusstsein ? Freier Wille ade ? Herrschaft über Kosmos und Leben ? Nein hoch 7 !
Gott ist nicht das Gesamtbewusstsein. Gott, auch so eine Idee, ist die Stille aller Noten, sprich, der Urzustand, der längst nicht mehr besteht, weil wir EINEN immer mehr schweigen.
HARMONIE bedeutet, dass jeder Note die Möglichkeit zum Erklingen, in welcher Form auch immer, bewahrt bleibt. HARMONIE bedeutet ein Individuum bleiben zu können, ohne einzig an EINEM eigenen Erscheinungsbild Individualität fest zu machen. HARMONIE macht die individuelle Stimme notwendig, um Schweigen zu verunmöglichen. HARMONIE ist das Herausbilden von Stille, so dass jede einzelne Stimme erklingen kann.
Wie sähe das Leben aus, begingen die ANDEREN den Weg wie wir EINEN ? Wie sähe er aus, wären wir EINEN wie die ANDEREN unterwegs ? Woraus die Schlüsselfrage hervortritt, die meinem Roman ‚Ich LIEBE meinen Tumor‚ zugrunde liegt:
Wie mag es sich anfühlen,
wenn Liebe großbuchstabig wird,
ohne unmenschlich zu sein ? Eine Unmöglichkeit ?
Solange das Leben uns EINEN zu begleiten vermag, ist ein Gesamtbewusstsein als Klavierspieler wahrscheinlich. Je länger wir gemeinsam auf verschiedenen Pfaden auf dem Weg des Lebens unterwegs sind, desto wahrscheinlicher ist es. So, wie das Leben, als Philharmonie, ein Lied der Lebendigkeit zu spielen vermag, bleibt nur die Annahme, dass das Gesamtbewusstsein der Klavierspieler ist, denn andernfalls wäre das Leben längst verstummt. Nicht als Stille, sondern als Endgültigkeit.
Es ist die Art und Weise des Klavierspiels, in all seinen Ausdrucksformen, welches die Antwort darauf gibt, was mit keinem Begriff allein, oder mit allen möglichen Begriffen zusammen, zum Ausdruck gebracht werden kann, weshalb das Dao und das Gesamtbewusstsein EINANDER gleich sind. Die Antwort liegt nicht im Begriff, sondern im Mit-EINANDER aller möglichen Begriffe, weshalb es kein Widerspruch ist, dass das Nicht-Materielle zugleich materiell ist und das Nicht-Sein sein kann. Auch nicht, dass Stille lauter erklingt als die Noten, zwischen denen sie ist.
The silence is above everything, and I would rather hear one note than I would two, and I would rather hear silence than I would one note.
Quelle: Mark Hollis im Interview mit John Pidgeon
Der Weg gestaltet sich dabei umso eindeutiger, je mehr eigene Stimmen erklingen. Daher lieber einen Philosophen, der mit dem Finger auf Mehrdeutigkeiten hinweist und mit eigener Stimme diesen Umstand beschreibt, als einen Philosophen, der anklagend den Finger erhebt und Eindeutigkeit mit einer Stimme fordert, die nicht seine eigene ist.
Wofür EINEN Gott anbeten bzw. sich von EINER solchen Stimme durchdringen lassen, wenn mit eigener Stimme erklingen kann, was möglich ist ? Vielleicht, weil im Gebet die eigene Stimme hörbarer wird, als im Schweigen, welches wir EINEN verbreiten ? Dieses Schweigen nennt Fingerphilosoph ideenreich das Anti-Daodejing.
Wofür dann aber ein Gesamtbewusstsein ? Damit möglich werden kann mit eigener Stimme Teil einer Notwendigkeit zu sein. Welcher ? Zu leben. Als Individuum. Als Ausdruck des Wesens von Leben. Als Lebewesen, welches verschiedene Formen annehmen kann … ohne die eigene Stimme zu verlieren. Auch wenn diese Stimme nicht ewig die gleiche bleiben kann.
Wer mich bis hierhin auf diesem Pfad begleitet hat, der mag nun mit all den Ideen weitere Pfade auf dem gemeinsamen Weg des Lebens begehen. Ich werde niemandem vorschreiben, welche Idee der Leser mit sich nehmen soll, noch welche Richtung er wählen soll. Ich kann nur, wie immer, eine HARMONISCHE Reise in die Stille wünschen, mit eigener Stimme. Eine Idee wie Copygift lässt grüßen – ein Geschenk für unterwegs.
Gruß Guido
GOLD-DNA
Die GOLDENE PHI(L)HARMONIE
Gemeinsam ins Tal
Ich LIEBE meinen Tumor
